Bonus Short Story — Steel

Bonus Short Story — Steel

Eine Charakterstudie aus dem AIOLUS-Universum

Captain Richard Chambers führt das Aufklärungsschiff AIOLUS im andauernden Kampf der Menschheit gegen außerirdische Mächte. Doch jeder erfahrene Offizier trägt Narben – von alten Schlachten und von Entscheidungen, die ihn in stillen Momenten verfolgen.

Diese introspektive Charakterstudie gewährt einen Blick hinter die Uniform: Während eines Routinemanövers an der Luna-Werft gönnt sich Chambers eine klassische Nassrasur – ein Ritual, das ihn zurückführt zu seinem Weg vom rebellischen Fähnrich zum kampferprobten Kommandanten. Er erinnert sich an die Grausamkeit des zurückliegenden Thraxianischen Kriegs und an die moralischen Dilemmata militärischer Führung.

1.

Luna Dock war ein Bienenstock aus Stahl und Energie. Frachter entluden ihre Ladungen, Wartungsdrohnen schwirrten um die angedockten Schiffe, und das konstante Summen der Lebenserhaltung mischte sich mit den Rufen der Dockarbeiter. Die AIOLUS lag in Bucht 7, eingesponnen in Schläuche und Leitungen – wie ein schwerer Frachter im Trockendock, bereit zur Revision.
Captain Richard Chambers stand in seiner Kabine vor der kleinen Wascheinheit und betrachtete sein Spiegelbild auf der polierten Oberfläche. Später Nachmittag nach Bordzeit, die Crew längst von Bord. Luna City wartete.
Er legte das Rasiermesser behutsam auf das kleine Handtuch. Ein Erbstück aus einer Zeit, als Männer noch Zeit für solche Rituale hatten. Der Griff aus dunklem Holz war glatt geschliffen von Jahrzehnten der Benutzung, die Klinge von seinem Großvater immer perfekt geschärft gehalten. Chambers öffnete sie mit einer geübten Bewegung und prüfte die Schneide im Licht.
»Sir?« SAMs Stimme erklang aus dem Kommunikationssystem, höflich aber bestimmt.
»Ja, SAM?«
»Statusbericht: Munition bei 90 Prozent geladen. Schilde werden überholt, Reaktor im Wartungsmodus. Vorräte zu 78 Prozent aufgefüllt.« Eine kurze Pause. »Die Dock-Crews arbeiten ordentlich. Keine Probleme.«
Chambers aktivierte die Wassertemperierung der Einheit und ließ warmes Wasser in die kleine Schale laufen. »Gut. Achte darauf, dass sie keine falschen Komponenten verbauen. Und halt die Systeme im Auge.«
»Natürlich, Sir. Quinn und Myers haben übrigens schon das Schiff verlassen. Richtung Sektor 12. Sie sprachen von der »strukturellen Integrität der lokalen Alkoholvorräte«.«
Chambers lächelte und tauchte den Rasierpinsel ins warme Wasser. »Das klingt nach Myers. Skellie?«
»Ist zu einem Museum für antike Navigationsinstrumente aufgebrochen. CeCe hat sich in die technischen Archive zurückgezogen.«
»Und du, SAM?«
»Ich werde die Systemdiagnose vertiefen und die Dock-Sicherheit überwachen. Genießen Sie Ihren freien Abend, Sir.«
Die Verbindung klickte ab, und Chambers war allein. Er arbeitete den Pinsel in der Seife zu dichtem Schaum und trug ihn gleichmäßig auf Wangen und Kinn auf. Die warme Feuchtigkeit entspannte die Haut, eine Vorbereitung für das, was kommen würde.
Das Rasiermesser lag schwer in seiner Hand. Eine Waffe, in gewisser Weise, aber eine, die Präzision und Geduld verlangte. Er zog die Klinge durch den Schaum, präzise wie immer.
Quinn und Myers, die vermutlich gerade die Bars von Luna City erkundeten. Wie lange war es her, dass er selbst so jung und ungestüm gewesen war? Chambers pausierte einen Moment und betrachtete sein Gesicht auf der reflektierenden Oberfläche. Er sah die Jahre. Die Narbe am Kinn war geblieben, der Rest verblasst.
Aber er erinnerte sich. An andere Bars, andere Städte, andere Zeiten. Als er noch Ensign war und die ganze Galaxis vor sich zu haben schien.

Er war neunzehn gewesen, als er zum ersten Mal betrunken aus O’Malley’s Bar in Milwaukee gestolpert war. Der Lake Michigan hatte sich unter dem Wintereis wie eine endlose graue Ebene erstreckt, und der Wind hatte ihm ins Gesicht geschlagen wie eine kalte Ohrfeige. Sein Vater hatte ihn am nächsten Morgen beim Frühstück angesehen – nicht vorwurfsvoll, nur müde.
»Boy«, hatte der alte Chambers gesagt, während er sein eigenes Rasiermesser schärfte, »das Wasser da draußen macht keine Gefangenen. Und die Navy auch nicht. Wenn du meinst, du bist hart genug für beides, dann beweis es.«
Richard hatte damals gedacht, er wüsste, was hart bedeutete. Die Winter am See, die Arbeit in der Werft, die Kämpfe mit den Jungs aus den besseren Vierteln. Er hatte sich geirrt. Lake Michigan war nur ein Teich verglichen mit dem All. Aber die Lektion hatte gesessen: Respekt vor der Macht der Natur, vor dem, was größer war als du selbst.
Das Rasiermesser war noch dasselbe. Vater hatte es von Großvater geerbt, er von seinem Vater. »Echte Männer brauchen echte Werkzeuge«, hatte der Alte immer gesagt. »Alles andere ist Spielzeug.«

Chambers tauchte den Pinsel erneut ins warme Wasser und trug frischen Schaum auf die andere Gesichtshälfte auf. Die Navy Academy hatte ihm beigebracht, dass Spielzeug tödlich sein konnte, wenn man es falsch benutzte. Drei Jahre lang hatten sie versucht, den Milwaukee aus ihm herauszuprügeln. Salutieren, marschieren, »Yes, Sir« und »No, Sir« sagen, als wäre es eine Religion.
Er hatte es gelernt. Nicht weil er wollte, sondern weil er musste. Die anderen Kadetten kamen aus besseren Familien, sprachen geschliffener, kannten die ungeschriebenen Regeln. Chambers hatte rohe Kraft und die Sturheit eines Mannes, der wusste, was Arbeit bedeutete. Das reichte – gerade so.
Sie formten ihn zu einem Officer. Lehrten ihm Taktik, Führung, die Art, wie man Befehle gab und empfing. Aber sie konnten nicht das Lake Michigan Eis aus seinen Adern nehmen oder den Milwaukee Stahl aus seinem Rückgrat. Sie konnten nicht die Art ändern, wie er die Welt sah: direkt, ohne Umschweife, ehrlich.
»Ensign Chambers zeigt Führungsqualitäten – allerdings verbunden mit einem Hang zur Widerrede.«
Widerrede. Als wäre Denken eine Krankheit.

2.

Die Klinge kratzte über Chambers‹ Kinn, und er tauchte wieder ein in jenen Tag, der ihn verändert hatte. Ensign Chambers, 23 Jahre alt, Communications Support Station auf der Brücke der USS DEFIANCE.

»Kontakt Peilung 047! Thraxianische Schlachtlinie formiert sich!«
Chambers‹ Hände flogen über die Kommunikationskonsole, leitete Meldungen von einem Dutzend Schiffen zur Brücke. Die DEFIANCE erzitterte, als die Haupttriebwerke zündeten. Auf dem Hauptbildschirm sah er sie – eine Wand aus unförmigem Metall und primitiver Technik, die sich über den Raum erstreckte. Thraxianische Kampfschiffe, wie mit Hämmern zusammengeschmiedet, kantig und brutal konstruiert. Keine eleganten Linien, nur rohe Gewalt in Stahl gegossen. Und darin: die Bio-Kolosse selbst, vier Meter hohe Killermaschinen aus Fleisch und biomechanischer Panzerung.
»Alle Schiffe, Kampfformation Sierra-7«, donnerte Captain Peterson von seinem Kommandosessel. Der Mann war eine Legende – kalt, präzise, unbesiegbar. Chambers hatte ihn bewundert. Bis heute.
»Sir, die PERSEUS meldet Triebwerksstörung!« rief Lieutenant Chen von der Tac-Station.
»Ignorieren. Wir halten Formation.«
Chambers sah zu Peterson hinüber. Ignorieren? Die PERSEUS hatte 800 Mann Besatzung.
Der erste Angriff der Thraxianer kam wie eine Horde wilder Tiere. Ihre unförmigen Schiffe stürmten vorwärts, keine Formation, keine Taktik – nur wildes Chaos. Energieschüsse prasselten ungezielt durch den Raum. Rammangriffe gegen größere Union-Schiffe, als würden die Bio-Kolosse drinnen ihre primitive Brutalität auf ihre Fahrzeuge übertragen.
»Schilde bei 85 Prozent!«
»Feuer frei! Alle Batterien!«
Die DEFIANCE antwortete mit ihren eigenen Waffen. Energiestrahlen sprangen von Schiff zu Schiff, blauweiße Blitze, die primitive Panzerung durchschlugen und kleinere Thraxianer-Fahrzeuge zerrissen. Ein feindlicher Angreifer – ein hämmerndes, kantiges Ding – explodierte in einem Schwall glühender Metalltrümmer.
Chambers duckte sich instinktiv, als etwas gegen die Hülle schlug. Die Brücke vibrierte, Displays flackerten.
»Breach auf Deck 7! Medical Teams to Sektor Charlie!«
Er leitete die Meldung weiter, seine Finger mechanisch über die Kontrollen tanzend. Menschen starben da unten. Menschen, die er kannte.
»DEFIANCE, hier ist Admiral La Fresnoy. Rückzug auf Position Tango-4.«
Peterson ignorierte die Meldung. »Haupttriebwerke, volle Kraft. Direkter Kurs auf das thraxianische Flagg-Biest.«
»Sir? Direktbefehl vom Admiral.«
Peterson drehte sich um. Seine Augen waren wie Eis. »Ensign, Sie haben Ihre Aufgaben. Erfüllen Sie sie.«
Die DEFIANCE raste vorwärts, direkt auf das Herz der feindlichen Horde zu. Das thraxianische Flaggschiff war ein Monstrum aus zusammengeschweißtem Metall – ein primitiver Koloss, groß wie ein Asteroidenbrocken, bedeckt mit Geschütztürmen und Rammspornern. Darin befanden sich hunderte der Bio-Kolosse, vier Meter hohe Killermaschinen, die wahrscheinlich nur darauf warteten, auf Union-Schiffe überzusetzen.
»Schilde bei 60 Prozent!«
»40 Prozent!«
»Verlust der Backbord-Batterien!«
Es war kein Gefecht. Es war ein Mahlstrom. Chambers konnte nicht verstehen, warum sie nicht längst tot waren. Die Thraxianer-Schiffe umzingelten sie, ein Ring aus primitiver Gewalt und roher Feuerkraft. Aber Peterson manövrierte die DEFIANCE wie einen Jäger, nicht wie einen Schlachtkreuzer. Enge Kurven, unvorhersagbare Wendemanöver, immer einen Schritt voraus.
»Sir, die PERSEUS ist destruiert!« Chen’s Stimme überschlug sich.
800 Mann. Chambers sah das Schiff in der Ferne, von thraxianischen Rammspornern zerrissen wie Papier. Seine Hände zitterten über der Konsole.
»Noted. Konzentration auf das Flaggschiff.« Peterson’s Stimme war ruhig wie stilles Wasser.
Ziel Alpha – das thraxianische Flaggschiff. Ein Monster aus Stahl, dreimal so groß wie die DEFIANCE. Seine Geschütze spuckten Feuer in alle Richtungen, koordinierten die gesamte feindliche Flotte.
»Torpedos scharf! Zielerfassung läuft!«
Die DEFIANCE schoss wie ein Pfeil direkt auf das Flaggschiff zu. Chambers sah den Tod auf sie zukommen – Energiestrahlen, die das All um sie herum in gleißendes Licht tauchten. Ein Treffer am Bug, ein weiterer am Heck.
»Schilde ausgefallen!«
»Hüllenverletzung auf allen Decks!«
»Medic zu Brücke! Verletzte!«
Chambers drehte sich um. Lieutenant Chen lag am Boden, Blut sickerte aus einer Kopfwunde. Niemand kümmerte sich um ihn. Alle starrten auf die Displays.
3000 Meter zum Ziel. 2000. 1000.
»Feuer!«
Sechs Quantentorpedos verließen die DEFIANCE in einer perfekten Salve. Sie schlugen in das thraxianische Flaggschiff ein wie die Faust Gottes. Die ersten Explosionen rissen Löcher in den Rumpf, die folgenden fanden die Reaktorkammern.
Das Flaggschiff verschwand in einem Blitz aus gleißendem Metall und zerrissenem Stahl. Trümmer primitiver Konstruktion trieben durch das All.
Stille. Für einen Moment herrschte absolute Stille. Dann begannen die thraxianischen Schiffe ihre wilde Formation aufzulösen. Ohne Koordination, ohne Führung. Primitive Kampfmaschinen ohne Plan. Sie wichen zurück, dann flohen sie.
»Feindkontakte brechen ab! Sir, wir haben gewonnen!«
Gewonnen. Chambers starrte auf die Trümmerfelder um sie herum. Die PERSEUS, die TRIUMPH, ein halbes Dutzend anderer Schiffe. Tausende von Toten. Gewonnen.
Peterson stand auf, glättete seine Uniform. »Communications, Verbindung zum Admiral. Meldung: Thraxianer-Flaggschiff vernichtet, Horde zerstreut, Position gehalten.«
Chambers führte den Befehl aus, mechanisch, leer. Er konnte Peterson nicht ansehen. Der Mann hatte sie alle in den sicheren Tod geführt – und sie gerettet. Wie? Warum? Chambers verstand es nicht.
Später, auf der Krankenstation, während er Chen’s Hand hielt und zusah, wie die Medics um sein Leben kämpften, verstand er immer noch nicht.
Peterson wurde nach der Schlacht Admiral befördert. Chambers sah ihn Jahre später bei einer Zeremonie wieder, die Brust voller Orden, umgeben von bewundernden Stabsoffizieren.
Er wich dem Blick, wie damals. Manche Fragen überleben Schlachten.

3.

Chambers spülte das Rasiermesser in der warmen Schale und klappte es zu. Die Klinge verschwand in dem vertrauten Holzgriff, sicher verwahrt bis zum nächsten Morgen. Wie viele Jahre hatte er als Ensign verbracht und sich jeden Tag gefragt, ob das sein Leben bleiben würde?

Sieben Jahre. Sieben verdammte Jahre auf Patrouillenkreuzern und Versorgungsschiffen, immer der gleiche Rang, immer die gleichen Aufgaben. Seine Vorgesetzten behandelten ihn wie einen begabten, aber unzuverlässigen Hund. »Chambers hat Potenzial, aber…« Das »aber« verfolgte ihn durch jede Beurteilung, jede Beförderungsrunde, jede Versetzung.
Er wischte sein Gesicht mit dem Handtuch ab und betrachtete sich im matten Glanz der Stahlplatte. Damals, mit dreißig, hatte er schon graue Strähnen gehabt. Nicht vom Alter – von der Resignation. Von der Erkenntnis, dass brillante Taktiker wie Peterson Tausende opfern konnten und dafür befördert wurden, während er für eine einzige kritische Frage Jahre lang bestraft wurde.
Dann kamen die Satari.

Plötzlich war alles anders. Die Union brauchte jeden erfahrenen Officer, jeden Mann, der kämpfen konnte. Die sauberen Karrierewege brachen zusammen, als die fremden Schiffe aus dem Nichts auftauchten und ganze Systeme verwüsteten. Chambers wurde von einem vergessenen Ensign auf einem Versorgungsschiff zu einem Lieutenant Commander auf einem Kampfkreuzer befördert – innerhalb von sechs Monaten.
Die Satari waren anders als die Thraxianer. Keine wilde Brutalität, sondern schlaue Effizienz. Ihre Schiffe bewegten sich wie Gedanken, ihre Taktiken waren rätselhaft, ihre Technologie überlegen. Aber sie kämpften wie Schachspieler, nicht wie Bestien. Und das konnte Chambers verstehen.
Bei Hadley’s Crossing, als ihr Kreuzer von drei Satari-Schiffen eingekesselt wurde, hatte er zum ersten Mal seit Jahren die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit getroffen. Nicht durch den Befehl seines Captains, sondern trotz ihm. Ein spontanes Flankenmanöver, das die feindliche Formation sprengte und 400 Leben rettete. Später, in der Nachbesprechung, hatte sein Captain nur genickt: »Good call, Commander.«
Zum ersten Mal seit der Peterson-Schlacht ergaben die Befehle Sinn. Zum ersten Mal sah er das große Bild, verstand die Zusammenhänge. Seine Jahre der erzwungenen Demut hatten ihn gelehrt, zuzuhören, zu lernen, zu verstehen, bevor er handelte. Die Navy hatte versucht, den Milwaukee aus ihm herauszuprügeln – stattdessen hatten sie ihn zu Stahl gehärtet.
Nach Proxima, nach Tau Ceti, nach den blutigen Kämpfen um die Außenposten, stand er plötzlich vor einer Wahl. Das Ausbildungsprogramm für Schlachtkreuzer-Captains oder das Kommando über den Aufklärer AIOLUS.
»Das Programm dauert zwei Jahre«, hatte Admiral La Fresnoy erklärt und dabei einen Holospeicher jongliert, ohne aufzusehen. La Fresnoy war ein Bürokrat im Admiral-Anzug, der die letzten fünf Jahre hinter einem Schreibtisch verbracht hatte. »Aber danach haben Sie Aussichten auf echte Großkampfschiffe. Feuerkraft für drei Sektoren. Sie wären im Zentrum der Hauptkampflinie.«
Zwei Jahre. Chambers hatte innerlich gelacht. Sieben Jahre hatte er als Ensign verbracht, war lange genug Schüler gewesen. Die Satari warteten nicht auf seine Ausbildung.
»Ich nehme die AIOLUS«, hatte er gesagt.
La Fresnoy hatte aufgeblickt, seine wichtigtuerische antike Lesebrille zurechtgerückt. »Sie sind sicher? Das Programm würde Ihre Karriere machen. Die AIOLUS ist ein kleines Schiff. Wenig Prestige, ständige Einsätze, wenig Komfort und mindestens eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit zu krepieren.«
»Ich bin sicher.«
La Fresnoy hatte achselzuckend unterschrieben. Für ihn war es nur ein weiteres Formular gewesen.

Chambers öffnete den kleinen Kleiderschrank und zog seinen dunkelblauen Anzug heraus. Kein Schnickschnack, keine modischen Extravaganzen – klassischer Schnitt, gute Qualität, zeitlos. Wie das Rasiermesser. Manche Dinge änderten sich nicht, auch nicht in 200 Jahren.
Er zog das Hemd an, schloss die Manschettenknöpfe – schlichtes Iridium – und legte die Krawatte um. Seine Bewegungen waren präzise, automatisch. So wie die Rasur. Rituale gaben dem Leben Struktur, Bedeutung.
Die AIOLUS war das Richtige gewesen. Sechs Jahre als ihr Captain hatten es bewiesen. Zwölf Mann und Frauen, die er kannte, denen er vertraute, die ihm vertrauten. Keine anonyme Masse, die auf seine Befehle wartete. Echte Menschen mit Namen, Geschichten, Träumen.
Skellie mit ihrer unmöglichen Navigation. CeCe mit ihren Geheimnissen und ihrer stillen Stärke. Quinn und seine kybernetischen Hände, AR-7 und seine unmöglichen Wünsche, vielleicht wurde ja doch noch ein Marine aus dem Blechkasten. Myers mit seinem ewigen Gemecker und seiner unerschütterlichen Loyalität. SAM, die über alle wachte.
Sie waren seine Familie geworden. Nicht die Navy, nicht die Union – diese Handvoll Seelen auf einem kleinen grauen Schiff.

Chambers justierte seine Krawatte und betrachtete sein Spiegelbild ein letztes Mal. Der junge Ensign von damals war verschwunden, ersetzt durch einen Mann, der wusste, wer er war und was er wollte. Kein Admiral, kein Hero der Union, kein legendärer Schlachtenlenker.
Nur Richard Chambers. Captain der AIOLUS. Mann aus Milwaukee, der gelernt hatte, dass die besten Siege nicht die waren, die in den Geschichtsbüchern standen, sondern die, bei denen alle nach Hause kamen.
Er aktivierte die Kabinenbeleuchtung auf Minimum, nahm sein Jackett und verließ das Schiff. Luna City wartete. Vielleicht würde er Myers und Quinn begegnen, betrunken und laut in irgendeiner Bar. Vielleicht würde er einen ruhigen Abend allein verbringen, mit einem guten Buch und einem besseren Whisky.
Es spielte keine Rolle. Morgen würde die AIOLUS wieder fliegen, und er würde sie führen. Das war genug.
Fast alles, was er je gewollt hatte. Nur manchmal, in ruhigen Momenten wie diesem, fragte er sich noch, ob Peterson sie je gezählt hatte.


Über das AIOLUS-Universum:
Ein militärisches Science-Fiction-Setting mit realistischem Raumkampf, vielschichtigen außerirdischen Gegnern und dem harten Alltag professioneller Soldaten, die die Kriege der Menschheit unter den Sternen austragen. Die AIOLUS und ihre Crew übernehmen gefährliche Aufklärungsmissionen – und kämpfen zugleich mit den seelischen Belastungen eines endlosen Konflikts.