
Als am 29. Mai 2025 vom Weltraumbahnhof Xichang in der südwestchinesischen Provinz Sichuan eine „Langer Marsch 3B/E“ in den Himmel stieg, begann ein neues Kapitel der planetaren Forschung.
An Bord: Tianwen-2 – »Fragen an den Himmel«. Diese Sonde soll mehr als nur einen Asteroiden besuchen. Sie ist der ehrgeizigste Versuch Chinas, die Ursprünge des Sonnensystems buchstäblich in Händen zu halten.
Inhaltsverzeichnis
Ein Himmelskörper wie kein anderer
Ihr erstes Ziel ist der erdnahe Asteroid 469219 Kamoʻoalewa, ein nur 40 bis 100 Meter großer Felsbrocken, der der Erde auf einer hufeisenförmigen Bahn folgt. Er bewegt sich fast im Gleichtakt mit der Erde um die Sonne. Aus irdischer Perspektive scheint er uns ständig zu begleiten – kein Mond, aber ein kosmischer Schattenläufer.
Das Objekt ist zugleich ein Rätsel. Spektralanalysen zeigen, dass seine Oberfläche dem verwitterten Gestein des Mondes ähnelt. Könnte er ein Bruchstück des Mondes sein, fortgeschleudert durch einen uralten Einschlag? Eine andere Theorie sieht in ihm einen ungewöhnlich rot gefärbten S-Typ-Asteroiden. Erst Tianwen-2 soll entscheiden, was stimmt.
Das waghalsige Rendezvous
Die Herausforderungen sind enorm. Kamoʻoalewa rotiert in nur 28 Minuten um sich selbst, seine Schwerkraft ist kaum messbar. Eine Landung wäre sinnlos – die Sonde würde eher wegschweben als aufsetzen. Stattdessen soll Tianwen-2 im Jahr 2026 ein Touch-and-Go-Manöver durchführen: Für Sekundenbruchteile berührt sie die Oberfläche, wirbelt mit einem Projektil Staub auf und saugt ihn ein. Alternativ steht ein neuartiges „Anchor-and-Attach“-System bereit, bei dem vier Roboterarme mit Bohrern die Sonde verankern. Eine Premiere im All.
Nach der Entnahme zwischen 20 und 100 Gramm Regolith zündet Tianwen-2 eine Mini-Sprengladung, um Material aus tieferen Schichten freizulegen. Die Rückkehrkapsel wird den Schatz im November 2027 in China landen lassen – mit einer Geschwindigkeit von rund 12 Kilometern pro Sekunde, etwa 35-mal schneller als ein Düsenjet. Der Wiedereintritt stellt extreme thermische Belastungen dar; ein speziell entwickelter Sphären-Kegel-Hitzeschild schützt die Fracht.
Doppelte Mission, doppeltes Risiko
Nach dem Abwurf der Probenkapsel geht die Reise weiter: Ein Swing-by um die Erde schleudert Tianwen-2 hinaus zum aktiven Asteroiden 311P/PANSTARRS, den sie etwa 2034 erreichen soll. Dieses Objekt im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter zeigt phasenweise sechs feine Staubschweife – kein echter Komet, eher ein rotierender Geröllhaufen, der durch Zentrifugalkräfte Material verliert. Die Sonde wird ihn über ein Jahr lang beobachten und Daten über Staub, Ausgasungen und Rotationsverhalten sammeln.
Damit wird Tianwen-2 die erste Mission, die einen Asteroiden und einen Kometen in einem Flug erforscht – ein Kunststück, das bisher nur wenigen Sonden wie der NASA-Mission Dawn (Vesta und Ceres) gelungen ist.
Ingenieurskunst im interplanetaren Raum
Die Sonde wiegt rund zwei Tonnen und wird vom chinesischen Institut CAST gebaut. Auffällig sind die großen runden Solarmodule und die parabolische Hochgewinnantenne. Der elektrische Ionentriebwerk-Antrieb sorgt für wochenlanges sanftes Beschleunigen; chemische Triebwerke übernehmen die Grobmanöver. Autonome Navigationssysteme mit optischen Sensoren, Lidar und Laser-Navigation halten den Kurs zum nur 50-Meter-Zielkörper – millimetergenau bei kaum messbarer Gravitation.
Elf Instrumente sind an Bord: Kameras, die jede Pore des Asteroiden erfassen, Radargeräte, die unter die Oberfläche blicken, und Sensoren, die Gas und Staub analysieren. Infrarot- und Thermalspektrometer entschlüsseln die mineralogische Zusammensetzung, Magnetometer ziehen geologische Rückschlüsse. Einige Systeme entstanden in Kooperation mit russischen Forschungseinrichtungen.
Warum das alles?
Die Probe von Kamoʻoalewa könnte Hinweise liefern, ob Bruchstücke des Mondes tatsächlich noch in Sonnennähe kreisen – und wie sich solche »kosmischen Fossilien« im All verändern. Der zweite Teil der Mission, 311P, soll zeigen, wie Objekte des Asteroidengürtels aktiv werden können, obwohl sie längst ihr Eis verloren haben. Damit verbindet Tianwen-2 Mondgeologie, Asteroidenkunde und Kometenphysik in einem Projekt.
Chinas Weg zur planetaren Großmacht
Nach der Marsmission Tianwen-1 und den erfolgreichen Mondlandungen der Chang’e-Serie ist Tianwen-2 ein logischer, aber schwieriger Schritt. Er demonstriert nicht nur technologische Reife, sondern auch den wissenschaftlichen Ehrgeiz, der einst von den USA und Japan dominiert wurde. Sollte die Rückkehrmission gelingen, wäre China die dritte Nation, die unberührte Proben eines Asteroiden zur Erde bringt.
Und falls Kamoʻoalewa tatsächlich ein Mondbruchstück ist, dann kreist ein Teil unseres Nachbarn seit Jahrmillionen unerkannt um die Sonne.
Quellen
Reuters (28.–29. Mai 2025): China launches mission to retrieve asteroid samples
Tianwen-2 set to launch in 2025 to explore „Kamo`oalewa“ and return samples
Xinhua (29. Mai 2025): China’s Tianwen-2 deep-space mission overview
SpacePolicyOnline (2025): China’s Tianwen-2 asteroid sample return mission
NASA Spaceflight (2025): Tianwen-2 launch and mission details
Friends of NASA (2025): China’s Tianwen-2 – Deep Space Exploration Mission
The China Academy (2025): China takes the lead in human spaceflight race
CNSA (2025): Offizielle Missionsbeschreibung der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas
